Was man vor dem möglichen Referendum zum Bozner Flugplatz durchdenken sollte
(veröffentlicht auf http://salto.bz/article/29092015/wird-suedtirol-abheben am 29. September 2015)*
Im Moment gibt es keine genaue Information in Sachen Volksabstimmung zum Bozner Flughafen – weder ob, noch wann diese stattfinden sollte. Die Diskussion darüber bekommt allerdings langsam Aufwind. Bis dato gruppieren sich die Positionen an zwei Hauptfronten: jene der Wirtschaftstreibenden, die die positiven Auswirkungen des Flughafens hervorheben, und im weitesten Sinne jene der Umweltschützer, die den Flughafen als Inbegriff eines schnelllebigen Entwicklungsmodells betrachten, das es zu bremsen gilt. Das dritte Lager bilden die Gleichgültigen, deren einzige Meinung jene ist, dass „die Gelder an anderen Stellen dringender nötig wären“. Der Eindruck ist leider, dass dieses Lager stetig wächst.
Die Debatten werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit hauptsächlich um Zahlen drehen, die bekanntlich sehr interpretierbar und manipulierbar sind. Zahlen über die effektiven Kosten (wie viel? zu viel?), und hier vergessen viele, dass die größten Summen – nämlich jene für die bereits bestehende Struktur – ohnehin schon ausgegeben wurden, während in Zukunft nur geringfügige Kosten für die öffentliche Hand anfallen würden. Zahlen über die Umweltverträglichkeit und die Auswirkungen auf die Natur, wobei man an dieser Stelle die berechtigte Frage stellen kann, ob ein funktionierender Flughafen umweltschädlicher sei oder eine überlastete Autobahn. Und zweifelsohne wird auch auf die rückläufigen Zahlen in der Tourismusbranche und in der Wirtschaft verwiesen werden, die eh schwer zu berechnen sind. Hoffentlich werden sich, je näher der Termin des möglichen Referendums heranrücken wird, mehr Gelegenheiten bieten, um über die Zahlen und Fakten zu sprechen und das Für und Wider abzuwägen. Die Qualität der Debatte wird allerdings sehr davon abhängen, ob die Diskussion fundiert und sachlich erfolgen wird, oder (wie es einfacher und daher wahrscheinlicher ist) ob die meisten gewappnet in die voraussehbaren Auseinandersetzungen gehen werden und sich vielmehr auf ideologische Positionen als auf tatsächliche Daten stützen werden.
Andere und wichtigere Fragen werden in der Debatte wohl zu kurz kommen.
Die erste Frage betrifft den Inhalt, über den eventuell abgestimmt werden müsste. Es soll dabei nicht um die Fragestellung „Flughafen: ja oder nein?“ gehen, sondern darum, ob das Land in Zukunft wirtschaftlich am Flughafen beteiligt sein sollte bzw. nicht. Ein Nein hätte zur Folge, dass der Flughafen nicht weiter subventioniert wäre und somit in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit keine Linienflüge anbieten würde. Der Flughafen würde also weiterhin bestehen, aber einfach lahm sein. Weltweit gibt es nur äußerst wenige Flughäfen, die sich völlig eigenständig erhalten. Als beispielhaftes Aushängeschild eines rentablen Flughafens, der auf eigenen Beinen stehen kann, wird häufig jener von Dubai genannt. Bekannterweise werden dort zu Gunsten der schwarzen Zahlen jedoch gravierende Abstriche bei den Rechten der Arbeiter gemacht. Neben den sklavenhaften Arbeitsbedingungen spielen dabei auch der nahezu kostenlose Benzin und die Steuerbefreiung eine Rolle. Wer könnte sich so etwas wünschen?
Die Frage, über die jedoch beim Referendum eher abgestimmt werden müsste, ist jene über das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse für das Land und dem wirtschaftlichen Beitrag, der geleistet werden muss, um ihm gerecht zu werden. Vor allem stellt sich auch die Frage der Alternativen. Schnelle Verbindungen zu Innsbruck und Verona wären mitunter eine tolle Option, allerdings würden diese nur Sinn machen, wenn der Preis der Zugtickets angemessen wäre und der Zug in höchstens einer Stunde ab Bozen den Flughafen von Verona bzw. Innsbruck erreichen würde. Wie lange würden die Arbeiten für diese ultraschnelle Verbindungen dauern, wann könnte damit begonnen werden und wie viel würden sie kosten? Wahrscheinlich mehr als die Landesbeiträge für den Bozner Flughafen für ein Millennium. Innsbruck und Verona sind übrigens keine hubs, also keine viel angeflogenen Knotenpunkte, und somit sind sie für viele Reisende unattraktiv: man müsste von Südtirol aus nach Innsbruck bzw. Verona fahren, um dann in den meisten Fällen erst nach einer Zwischenlandung am Endziel anzukommen. Der nächste hub wäre München: vier Stunden Bus- oder Zugfahrt, plus die Wartezeiten eines großen Flughafens. Um diesen zu erreichen verliert man praktisch einen ganzen Tag. Wer so viel Zeit hat, ist zu beneiden, er lebt allerdings (zu seinem Glück) nicht im 21. Jahrhundert.
Die zweite Frage betrifft die Wähler, die beim Referendum wahlberechtigt wären. Da es um die Beteiligung der Provinz am Flughafen geht, ist es klar, dass die Wahlberechtigten alle in Südtirol Ansässigen sein müssen. Aber die Landesgrenzen stimmen überhaupt nicht mit dem Einzugsgebiet des Flughafens überein. Von Sterzing aus erreicht man etwa Innsbruck schneller als Bozen, aber ab Trient lohnt es sich eher, nach Bozen anstatt nach Verona zu fahren. Daher ist die Frage berechtigt, warum die Trentiner beispielsweise nicht ihre Meinung äußern sollten. Jene, die an den Zauber des Referendums glauben, dürfen nicht vergessen, dass für den Ausgang der Referenden die Ermittlung der Wahlberechtigten entscheidend ist; genauso wie die Wahlergebnisse vom Wahlgesetz abhängen. Der Wille des Volkes, der bei Volksabstimmungen genauso wie bei Wahlen geäußert wird, ist ein abstrakter Richtwert.
Der dritte und gleichzeitig der wichtigste Punkt befasst sich mit der Frage nach der Gesellschaft, die wir uns in Südtirol für die Zukunft wünschen. Dafür ist der Flughafen ein entscheidender Gradmesser. Hätten wir gerne eine Gesellschaft von öffentlich Bediensteten, die einmal im Jahr in ein Flugzeug steigen, um in den Urlaub zu fliegen, erübrigt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines Flughafens in Bozen. Genauso wenig brauchen wir einen, wenn wir annehmen, die Flugzeuge dienen einzig den wenigen (Beamten, Abgeordneten), die in die italienische Hauptstadt müssen. Als Bozen-Rom-Pendler kann ich sagen, dass man Rom gut, ja sogar besser und entspannter mit dem Zug erreicht. Der eigentliche Haken liegt darin, dass wir Südtiroler uns immer noch als Nabel der Welt betrachten. Wirdenken also daran, wenn wir selbst reisen müssen, bzw. an jene, die als Touristen zuuns kommen. Aber da wir so sehr mit unserer Nabelschau beschäftigt sind, übersehen wir den Rest des Körpers und vergessen, dass der Nabel der Welt – sofern es überhaupt einen geben sollte – sehr weit von uns entfernt liegt. Es geht nicht darum, nach Rom zu kommen, sondern hinaus in den Rest der Welt. Und es geht nicht um die Frage, wie viele Touristen mehr dank des Flughafens ihren Urlaub hierzulande verbringen würden; gewiss wären es ein paar mehr, aber vermutlich würde die Zahl nicht maßgeblich ins Gewicht fallen. Es geht hingegen vielmehr darum, dass durch eine direkte Verbindung nach Bozen mehr Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler, ja verschiedene kluge Köpfe zu uns kommen würden. Der Flughafen würde Leute nach Südtirol bringen, die heute häufig auf einen Abstecher bei uns verzichten müssen, weil sie es sich nicht leisten können, zu viel Zeit für die Anreise aufzuwenden. Genau diese Zielgruppe würde allerdings einen viel größeren Mehrwert mit sich bringen und uns und unser Land weit mehr bereichern als der klassische Rucksacktourist.
Genau diese Fragen muss man sich selbst stellen, um eine wohldurchdachte Antwort zu geben, die nicht aus dem Bauch heraus kommt und im Endeffekt am Ast sägt, auf dem wir selbst sitzen. Die entscheidende Frage ist, ob wir eine Gesellschaft wollen, die auf sich selbst fokusiert, schwer erreichbar und isoliert ist und die sich so wenig wie möglich von Südtirol wegbewegt, oder ob wir uns ein offenes Land wünschen, in das die intelligentesten Köpfe kommen, in das man jederzeit einfach zurückkehren kann und aus dem man ebenso leicht wegkommt, um festzustellen, dass die Welt da draußen ist, und nicht auf uns wartet.
Es liegt an uns, unsere Gesellschaft der Zukunft zu gestalten. Ein Flughafen, der teilweise von der Provinz subventioniert ist, würde möglicherweise zum Abbau der Provinzialisierung beitragen. Und der Preis, den wir für den Provinzialismus bezahlen, könnte höher sein als jegliche Investition von Seiten der öffentlichen Hand, die dazu beiträgt, ihn abzubauen.
PS: Es mag ein wenig weit hergeholt klingen, und man verzeihe mir meine abschweifenden Gedanken, aber man könnte doch auch annehmen, dass es genauso im Sinne der Südtiroler Separatisten ist, einen heimischen Flughafen in der Hauptstadt des Freistaates zu haben, der uns einen unabhängigen Luftverkehr garantieren würde…
* Der Artikel ist in verkürzter Form und unter dem Titel „È il futuro che deve decollare“ am 20. September 2015 in der Tageszeitung Alto Adige erschienen.
Die Frage des Flughafens mit Auswegen aus der Provinzialität zu verbinden erinnert stark an eine Politik der Alternativlosigkeit nach Merkelschem Vorbild.
Eine Diskussion bedarf über exakte Zahlen hinaus Vorschläge von Experten: Wie schaut die Mobilität der Zukunft aus wenn beispielsweise der Alterschnitt der Neuwagenkäufer jenseits der 50 liegt.
Klar ist dass durch den Ausbau der südlichen Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel neue Möglichkeiten der öffentlichen Mobilität entstehen. Diese möglichst breit zugänglich zu machen ist eine wesentliche Aufgabe der Politik der nächsten Jahrzehnte. Provinzialität haftet zwar an einer kleinen (unbelehrbaren) Elite, aber die Transformation in Urbanität hängt an der Mehrheit der Bürger.
So scheint zusammen mit dem Trentino das Schaffen eines Verkehrsknotenpuntes für Güter/Schienen/Flugverkehr durch einen Endbahnhof Verona Flughafen als zumindest denkbare Alternative attraktiv.
Das Problem mit dem “Benko-Projekt” in Bozen war/ist, dass es die öffentliche Aufmerksamkeit völlig abgelenkt hat vom eigentlichen Mammutprojekt Bahnhof neu (http://www.arealbozen.it/de.html), in welchem durchaus auch Benko Platz finden würde.
So ist zu hoffen das die Diskussion um den Flughafen nicht die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Mammutprojekt südliche Zulaufstrecken und Integration Regional-in Interregionalverkehr der Bahn ablenkt.