Auf a Glas’l mit Francesco Palermo. Der unfreiwillige Politiker

palermo.barfuss (Interview mit Vera Mair am Tinkhof, erschienen auf http://www.barfuss.it/leute/der-unfreiwillige-politiker am 8. Februar 2016)

Francesco Palermo hat ein Amt und trotzdem eine Meinung: Der Senator über Politik, was am Autonomiestatut überarbeitet gehört und sein zwiegespaltenes Verhältnis zu Social Media.

Francesco Palermo erscheint pünktlich und gut gelaunt zum Interview in der EURAC-Bar in Bozen. Der Senator begrüßt den Kellner, bestellt einen Orangensaft und bringt sich in Position. Der anfängliche Verdacht, dass er seine letzthin eher negativen Erfahrungen mit einigenSüdtiroler Medien auch auf einen selbst projizieren könnte, lässt sich zumindest zu Beginn des Gesprächs durch seine entspannte Haltung nicht bekräftigen.

Palermo gilt als intellektuell – ein Attribut, das in der Politik nicht nur positiv behaftet, für seine anderen Tätigkeiten allerdings unabdingbar ist: Leiter des Instituts für Föderalismus- und Regionalismusforschung der EURAC, Lehrstuhl an der Universität in Verona in vergleichendem Verfassungsrecht, ehemaliger Berater für den Europarat und die OSZE. Einfache Parolen sind seine Sache deshalb nicht. Dementsprechend wählt er auch im Gespräch seine Worte mit Bedacht, holt oft lange sprachlichen und argumentativen Anlauf, bis er die Hürde der Antwort endgültig nimmt.

Herr Senator Palermo, laut Ihrem Lebenslauf sprechen Sie neben Deutsch, Italienisch und Englisch noch Spanisch, etwas Französisch und besitzen Grundkenntnisse in Serbokroatisch und Niederländisch. Sind Sprachen essentiell, um eine Kultur zu verstehen?
Sprache ist dazu sicherlich nicht das einzige Mittel, aber eine wichtige Voraussetzung. Mir hätte es auch gut gefallen, Sprachwissenschaftler zu werden. Als ich hier an der EURAC begonnen habe, habe ich auch im Bereich der Rechtsterminologie geforscht. Insgesamt interessiert mich das schon. Und gerade auch in der Rechtsvergleichung sind Sprachen besonders wichtig.

Auch in Ihrem Blog betonen Sie die Wichtigkeit von Sprache. Sie schrieben Artikel zu der von Ihnen so genannten „responsabilità delle parole“ und über das missverständliche Vokabular, das in der Politik gern verwendet wird.  
Das muss man aber differenzieren, denn dabei handelt es sich um zwei verschiedenen Ebenen: Einerseits haben wir als Politiker Verantwortung für die von uns verwendeten Worte. Diese sind oft so schlecht, weil sie Ergebnis eines Kompromisses sind. Ein interessantes Beispiel dazu wird uns nun bald mit dem Gesetz zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Paare begegnen. Da tauchen auch sicher wieder ein paar Begriffe auf, die der Rechtsordnung bislang total fremd sind, wie etwa „affido rafforzato“ – was soll das heißen? Das ist nicht klar. Der Grund dafür liegt im politischen Prozess, weil die Politik – und das ist auch gut so – immer den Kompromiss sucht und auch suchen soll. Das ist das eine.
Dann gibt es die zweite Ebene, und die ist noch schlimmer, glaube ich. Wenn wir über die Verantwortung für die verwendeten Worte sprechen, liegen wir im Bereich der politischen Kommunikation. Und da sind wir momentan auf einem miserablen Niveau. Denken Sie einfach mal an die Social Media: Die Sprache und Aggressivität, die da oft dahintersteckt, ist ja absolut unerträglich. Daher versuche ich in meinem öffentlichen Leben zum Beispiel nie über Personen zu reden, denn es geht nicht um eine persönliche Konfrontation, sondern um Themen. Und die Wortwahl muss dabei immer vorsichtig sein – auch wenn ich manchmal etwas aggressiver werden oder eine stärkere Wortwahl verwenden möchte, damit die Botschaft klarer wird. Aber ich bremse das immer, weil ich finde, eine gewisse Grenze der Würde darf in der Sprachwahl nicht überschritten werden.

„Damals, vor drei Jahren, ist eben ein Fenster aufgegangen. Jetzt allerdings bedauere ich das, muss ich sagen. Denn das Leben ist ja wirklich miserabel. Wenn ich zurückkönnte, drei Jahre zurück, würde ich nicht mehr kandidieren.”

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Reformen und ideale politische Umstände: Francesco Palermo antwortet

Dass die angekündigten Reformen schnellstmöglich umgesetzt werden müssen, schien allen politischen Kräften klar zu sein. Nun scheitern aber viele Bemühungen an “den nicht idealen politischen Umständen”, so auch unlängst, als eine wichtige Entscheidung über das neue Wahlgesetz wiederum ausgesetzt worden ist. “Ideale politische Vorraussetzungen wird es nie geben,” so Francesco Palermo.

Was seinen Auftrag in Rom angeht, “lässt dieser wenig Spielraum für Missverständnisse: Es geht in erster Linie um die Reform des Autonomiestatuts.”

Fünf Monate Parlament: Eine Bilanz

Vor Beginn der Sommerpause zieht Francesco Palermo eine kurze Bilanz über diese ersten fünf Monate seiner parlamentarischen Tätigkeit. “Es war eine intensive und nicht ganz leichte Erfahrung, auch aufgrund der besonderen Situation, in der sich das Parlament wiederfindet.” Zu den positiven Aspekten dieser ersten Phase zählt die Aneignung der Kenntnisse der parlamentarischen Arbeit und das Kennenlernen der neuen Kollegen, die Erarbeitung zahlreicher Initiativen — viele von Erfolg gekrönt -, und die operative Tätigkeit, hauptsächlich in den Gesetzgebungsausschüssen. Zu den negativen Aspekten zählen die Erkenntnis, dass es mitunter schwer ist, keiner Partei anzugehören, die großen Erwartungen, die die Bürger darin setzen, dass es zu positiven Veränderungen kommt, wobei aber das System nur sehr langsam und holprig arbeitet, sowie der schwerfällige und belastende Arbeitsrythmus im Parlament. Für die nächste Zukunft sind es die ersten Ziele, die Arbeiten auch außerhalb des Parlaments zu intensivieren, sowie sich eine geringere Ungeduld gegenüber dem Erreichen der gesteckten Ziele anzueignen.

Auswüchse der Politik und die Arbeit an den Politikfeldern

In dieser Woche haben drei Themen die Aufmerksamkeit der Medien und der politischen Debatte bestimmt: die Anträge zu den F-35-Fliegern, die schweren Beleidigungen der Ministerin Kyenge und die Geschichte rund um den kasachischen Dissidenten und die Ausweisung seiner Familienangehörigen. “Das sind wichtige und schwerwiegende Themen, aber das ist genauso die Spirale der politischen Erklärungen und die damit verbundenen Theatralik, mit der sie behandelt werden.” Es ist wichtig, sich dem politisch-medialen Strudel zu entziehen, um an den Inhalten weiterzuarbeiten. Francesco Palermo zeigt die “weniger sichtbaren” Aktivitäten auf, die aber nicht weniger wichtig sind, und die Arbeiten, die damit verbunden sind.

Der “Vorrang” der Politik, die F-35 und das Toponomastikgesetz: Francesco Palermo

Die heutige Sitzung des Senats wurde aus Gründen unterbrochen, die nichts mit dem Arbeitskalender Aula zu tun haben. “Die Politik hat die Aufgabe, Probleme zu lösen. Aber es wird immer deutlicher, dass sie, anstatt sie lösen, diese verursacht.” Francesco Palermo erklärt anhand von drei Beispielen – den Gesetzentwurf für die Verfassungsreform, den Ankauf der F-35 und dem Toponomastikgesetz-, dass der Vorrang der Politik immer weniger gerechtfertigt ist. Dennoch versucht er mit einem aufmunterndem Beitrag zu enden.